Sonntag, 8. September 2013

Abenteuer Reintalangerhütte

Blick ins hintere Reintal
Zum Partnachlido

Mit Frank und Michael ging's für ein verlängertes Wochenende Ende August auf die Reintalangerhütte oberhalb von Garmisch-Partenkirchen, um von dort den Wetterstein laufend zu erkunden. Die Reintalangerhütte ist vom Skistadion in gut 3 ½ Stunden über die Partnachklamm zu erreichen, wobei unbedingt ein Halt an der Brücke vor der Bockhütte gemacht werden sollte, um von dort den schönen Ausblick ins hintere Reintal genießen zu können.

Auf der Hütte können wir sofort unser kleines Lager beziehen und machen uns im letzten Licht des Tages auf zum Partnachursprung. Das Wasser, glasklar und eiskalt, schießt hier durch ein großes Loch aus dem Fels. Wir laufen noch ein Stück weiter und vor uns schließt sich das Tal zu einem kleinen Spalt im Anstieg zur Knorrhütte zusammen. Schon an dieser Stelle wird uns bewusst, in welch wundervoller Umgebung wir die nächsten Tage und Nächte verbringen dürfen. Vor der Hütte, am kleinen Partnachlido, wo Liegestühle stehen, eine kleine Brücke und tibetanische Gebetsfahnen die Partnach überspannen, erkehren wir eine Bierzeltgarnituren zu unserem Basislager und verspeisen das mitgebrachte Essen. Am Abend kehren wir im Gastraum der Hütte ein, um dem allabendlichen Ritual zu lauschen: gemeinsam mit Freunden und Mitarbeitern, unterbrochen von tosendem Applaus und Geschichten aus der Bergwelt, musiziert Hüttenpächter Simon auf Hackbrett und Gitarre. Bei Weißbier und Münchner Hell klingt der erste Tag aus und wir fallen schnell in einen tiefen Schlaf, nicht ahnend, dass wir bald selber Teil einer dieser Berggeschichten sein werden.

Der Eibsee von der Zugspitze aus

Auf das Dach der Tour

Der Wetterbericht hatte für den heutigen Tag prallen Sonnenschein und tiefblauen Himmel versprochen und zu unserem Glück traf diese Vorhersage auch ein. Während unseres Frühstücks an der rauschenden Partnach, nahm die aufsteigende Sonne immer mehr von den uns umgebenden Berggipfeln ein. Ein prächtiges Farbspiel, vom Grau der Felswände über das türkise Wasser des Flusses und dem satten Grün der Tannen bis zum Orange der Berggipfel, umgab uns. So verfestigte sich der gestern getroffene Entschluss, heute auf die Zugspitze zu laufen und im Schein der immer höher steigenden Sonne ging es auf bekannten Wegen zum Einstieg in den Anstieg zur Knorrhütte. Es geht sofort zur Sache, denn der Pfad führt auf festem Schutt und in einigen Serpentinen steil hinauf zu einem kleinen Baumbestand. Wir wechseln in einen schnellen Wanderschritt und ich bin froh über die Stöcke, die es mir ermöglich, einem Steinbock gleichend, auf vier Hufen den Berg hinauf zu stürmen. Frank schlägt ein angenehmes Tempo vor, zwar fordernd, aber nicht zu schnell, dafür konstant und gleichmäßig. Wir sammeln die ersten Wanderer ein, die früher von der Hütte aufgebrochen sind, und ernten erste verstaunte Blicke. Ob es an unserem leichten Schuhwerk, der hohen Geschwindigkeit oder unseren freien Oberkörpern - unserer T-Shirts haben wir uns schon zu Beginn des Anstiegs entledigt - liegt, weiß ich nicht, wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem. Allen gleich ist, dass sie uns aufmunternde Worte mit auf den Weg geben, während wir schon wieder weiter eilen, getrieben davon, vor den großen Menschenmassen, die die Zugspitzbahnen täglich auf den höchsten Berg Deutschlands bringen, am Gipfelkreuz zu stehen. 
Wir steigen durch eine kleine Rinne, links blanker Fels, rechts Schutt und ein paar Bäume, weiter Richtung Knorrhütte empor. Der Weg ist steil, Felsen und Schutt wechseln sich ab und die Sonne brennt nun trotz der frühen Stunden unbarmherzig auf uns hinab. Ab und an können wir laufen, maximal fünfzig Meter, dann müssen wir wieder dem Gelände Tribut zollen und wechselnden in den kraftsparenden Wanderschritt. In einigen Kurven überwinden wir die letzten Höhenmeter und sind nach gut fünfundfünfzig Minuten an der Knorrhütte. Ich bin froh, die ersten siebenhundert Höhenmeter hinter mir zu haben, verdrücke einen halben Riegel mit etwas Wasser und bitte Frank um ein Foto mit den Plattspitzen, die eindrucksvoll auf der gegenüberliegenden Seite der Zugspitze liegen und markant hervorstechen. In der Zwischenzeit stößt Michael wieder zu uns, wir pausieren noch etwas gemeinsam und brechen dann weiter gen goldenem Gipfelkreuz auf. 
Die Landschaft um uns herum hat sich nun  geändert. Säumten zu Beginn noch kleine Tannen den Weg, dominiert hier auf mehr als zweitausend Metern Schutt und Fels, durchsetzt mit einzelnen grünen Flecken, das Bild. Vereinzelt haben wir einen Ausblick auf das Münchener Haus auf der Zugspitze und auch das Platt ist ab und an zu sehen. Das Gelände ist nach den ersten, steilen Metern hinter der Knorrhütte nun leicht kupiert und wir haben wieder die Gelegenheit, zu laufen. Hier sind nun deutlich mehr Wanderer unterwegs, von denen es einige wohl nicht mit ihrem Stolz vereinbaren können, dass sie von drei drahtigen Läufern überholt werden, die nicht nur eher auf, sondern auch vor ihnen wieder von der Zugspitze runter sein werden. Doch ihre Sprüche zeugen nur davon, dass viele von ihnen sich selbst im Urlaub nicht auf die eigene Geschwindigkeit und die eigenen Fähigkeiten besinnen können und immer nur den Vergleich mit dem Anderen, für den Moment Schnelleren, suchen. Mir ist hier nicht nach Rekorden gelegen, es geht nicht darum, in der Zeit x an Ort y anzukommen, anderen ihre eigenen Grenzen aufzuzeigen. Es geht vielmehr darum, körperliche Grenzen und Möglichkeiten zu erfahren, wofür ein Berg, der dies schon immer von seinen Bezwingern gefordert hat, genau der richtige Ort ist. 
Sonn Alpin - Bahnhof der von Garmisch kommenden Zahnradbahn und letzter Stopp vor dem finalen Anstieg - wird seinem Namen gerecht. Bayrischer Himmel, strahlende Sonne hinter leichten Wolken am Himmelszelt, deren Spiegelbild die letzten Schneefelder an Nordhängen der Berge sind, machen das ansonsten triste, felsige, von einem schroff aufragendem Ring umrahmte Platt zu einem besonderen Ort. Der letzte Teil eines Anstiegs von insgesamt eintausendsiebenhundert Höhenmetern wartet auf uns. Wieder wühlen wir uns schnellen Schrittes durch rutschiges Geröll, bahnen uns in Serpentinen den Weg zum Grat hinauf und sind froh über einige versicherte Kletterpassagen im weißen Fels des Wettersteins, der uns, anders als der lose Schutt, einen festen Tritt beschert. Auf dem Grat weht ein eisiger Wind und Schnee und Reif sind Zeugen der hier vorherrschenden klimatischen Bedingungen. Ich wünsche mir mein T-Shirt herbei, dass an meinem Rucksack baumelt und einen, wenn auch nur leichten, Schutz bietet. Es sind nur noch wenigen Meter und einigen Treppenstufen, bis ich, diesmal nur getragen von meinen eigenen Füßen, auf dem Dach Deutschlands stehe. Obwohl mir kalt wird, treibt Frank mich weiter, ist anhalten keine Option, denn hier sind wir dem Wind ungeschützt ausgeliefert. Ein letzter Schneerest und die rutschige Treppe, dann schon stehen wir am Münchener Haus und fallen uns freudig in die Arme. Ein stiller Moment der Erleichterung, 2964 m über dem Meer, an einem Ort, der trotz seiner Abgeschiedenheit, für Trubel, Lärm und Getöse steht. Michael kommt kurze Zeit später und auch in seinen Augen kann ich die Begeisterung darüber, es geschafft zu haben, ablesen. Vorbei an einigen Models, die für ein Fotoshooting posieren, klettern wir zum berühmten goldenen Gipfelkreuz. Eins, zwei Fotos, ein Blick auf den Jubiläumsgrat und die umliegende Berglandschaft, mehr Zeit zum Verweilen bekommen wir an diesem rastlosen Ort nicht. Vom anderen Teil des Gipfels bietet sich ein herrlicher Blick auf das Alpenvorland und den Eibsee. Das Wasser klar, die Bäume drumherum grün, Kanada im Süden Bayerns. 
Zeit zum Träumen bleibt nicht. Es geht abwärts, zurück zur Knorrhütte. Wir rutschen durch das lose Geröll, springen um lockere Steine herum und nutzen dazu feste Felsen als Trampolin. An der Knorrhütte verpflegen wir nochmals gut und laufen gen Süden zum Gatterl, dem Übergang von Deutschland nach Österreich. Der ausgetretene Wanderpfad zieht sich am Hand entlang, kaum an Höhe gewinnend oder verlierend, durch den weißen Wettersteinfels. Ein guter Laufrhythmus stellt sich ein, ab und an von Wandergruppen unterbrochen, die von Ehrwald aus die Zugspitze erobern. Plötzlich rutscht der rechte Teleskopstock in sich zusammen und ich schlage mit dem Knie auf den unbarmherzig harten Boden. Blut rinnt und ein roter Fleck zeichnet sich, wie eine Wegmarkierung, auf dem Stein ab. Ich habe Glück, denn es ist nur eine Schürfwunde, die schnell gereinigt werden kann. Es wäre wohl auch kein richtiges Abenteuer, bliebe nicht zumindest eine kleine Verletzung zurück. 
Am Gatterl treten wir nicht nur nach Österreich ein, es wechselt auch das Bild der Landschaft. Weg vom schroffen Stein auf dem Zugspitzplatt, hin zum saftigen Grün der Almwiesen, durch die wir uns den Weg zum Steinernen Hüttl bahnen. Josef und seine Frau bewirtschaften die Hütte und die umliegenden Weiden mit ihren Zuchtbullen schon im zweiten Jahr und begrüßen, da sie Frank schon von seinem letzten Besuch im Wetterstein herzlich. Josef freut sich über die Grüße, die wir ihm von Simon, dem Pächter der Reintalangerhütte ausrichten. Obwohl es sich lediglich um einen einfachen Gruß handelt, fühle ich mich wie ein Bote, von dessen Laufvermögen es abhängt, ob eine wichtige Nachricht den Adressat erreicht oder nicht. Bei selbstgemachtem Marmorkuchen, der mit einer Extraportion Puderzucker für uns Bergläufer versehen ist, und Holundersaftschorle kommen wir wieder zu Kräften und nachdem ich meinen Wasservorrat am frischen Quellwasser aufgefüllt habe, schultern wir wieder die Rucksäcke. Der Anstieg vom Steinernen Hütte Richtung Gatterl überwindet zweihundertfünfzig Höhenmeter auf einer Distanz von vielleicht eintausend Metern. So langsam merke ich die Anstrengungen des Tages in meinen schwerer werdenden Beinen. Stetig, wie ein Pendel, gibt Frank weiterhin den Takt vor. Mit jedem Schritt fällt ein Stoß mit dem Stock zusammen, kollidieren meine kleinen Beine mit großen Absätzen, steche ich beide Stöcke in den Boden und ziehe mich hinauf. Nach diesem Abschnitt folgt wieder der laufbare Teil über das Gatterl zur Knorrhütte. Auf kürzeren Teilstücke kann ich, ohne zu stoppen, die Umgebung genießen. Der Blick geht durch eine enge Rinne ins Reintal und ich kann die Reintalangerhütte zum ersten Mal und nur für einen kurzen Augenblick von hier oben aus sehen. Der Pfad wird anspruchsvoller und die Konzentration richtet sich wieder auf den Bereich vor meinen Füßen. In diesem Moment wird mir klar, dass das Laufen, als natürlichste Art der Fortbewegung des Menschens, als Ursprung seines Daseins, in einer Landschaft, in der menschliches Leben nur unter Aufbietung größter Anstrengung möglich ist, Freiheit, Demut und innere Zufriedenheit erzeugt.
Gegenverkehr haben wir jetzt, am frühen Nachmittag, nicht mehr. Die Wanderermassen sind von der Zugspitze auf anderen Steigen abgestiegen und so kommen wir kurze Zeit später am Beginn des finalen Downhills an. Michael verabschiedet sich von uns, denn Frank will den Abstieg herunterfliegen und ich versuche, an seinen Fersen zu bleiben. Was wir vorhin hochgewandert sind, laufen wir jetzt bergab, also erst durch lockeren Schutt, dann auf festerem Fels mit einzelnen Steinen in einer kleinen Rinne und dann wieder in Serpentinen durch Geröll. Das Bergablaufen fordert neben großer Konzentration auch das Vermögen, eins mit dem Weg zu werden. Ähnlich wie beim Skilaufen im freien Gelände, musst Du den Verlauf des Weges studieren und in Dich aufnehmen. Du musst ein Gespür für die Steine entwickeln, auf die Du treten kannst, wissen, welche Du meiden solltest und immer damit rechnen, dass Du ein wenig rutscht und schlitterst. Beginnst Du, Dich mit großen Schritten in den Downhills zu stürzen, auf Teufel komm raus einen Weg wieder den natürlichen Begebenheiten zu laufen, wirst Du nach wenigen Metern langsamer und letztendlich stehen bleiben. Das Geheimnis sind die kleinen Schritte, der dosierte Stockeinsatz, der mal bremst, mal beschleunigt, wenn Du Dich über einen lockeren Stein drückst, um auf der anderen Seite am Fels einen festen Fußabdruck zu platzieren. Nach dreißig Minuten haben wir die siebenhundert Höhenmeter hinter uns und stehen glücklich an der Reintalangerhütte.

Objektive Bedingung der Strafbarkeit

Nachdem auch Michael kurze Zeit später eingetrudelt ist und wir alle geduscht und warm angezogen sind, finden wir uns in unserem Basislager zu einem späten Mittagessen bzw. vorgezogenem Abendessen ein. Es tut gut, Unmengen an Partnachwasser in meinen Körper zu schütten, da ich unweigerlich und trotz stetem Trinken zu wenig Flüssigkeit zu mir genommen habe. Als Frank sich zu einem kleinen Mittagsschlaf zurückzieht, genießen Michael und ich die kurze Ruhephase an der Hütte, die entsteht, wenn die Tagesgäste abgereist und die Übernachtungsgäste noch nicht angereist sind. Wir berichten uns von den verschiedenen Wahrnehmungen, die wir auf der heutigen Tour gemacht haben und sprechen über die verschiedenen Motivationen, warum wir, die Läufer in ihrer Gesamtheit, überhaupt laufen. Damals konnte ich meine Beweggründe schwer in Worte fassen, beim Schreiben dieser Zeilen kommt mir eine Beschreibung in den Sinn, die meine Motivation verständlich macht.
Im Strafrecht muss bei einigen Straftatbeständen eine objektive Bedingung der Strafbarkeit vorliegen. Auf diese objektive Bedingung muss sich der Vorsatz des Täters nicht beziehen, ihr Vorliegen ist aber notwendig, um sich strafbar zu machen. Selbst derjenige, der glaubt, in Bezug auf einen anderen eine wahre Tatsache zu verbreiten, die geeignet ist, den anderen in seiner Ehre zu verletzen, macht sich der üblen Nachrede strafbar, wenn sich später herausstellt, dass die Tatsache unwahr ist. Die Nichterweislichkeit der Wahrheit der Tatsache ist hier also objektive Bedingung der Strafbarkeit. Und genauso ist es bei mir und dem Laufen. Solange ich nicht eine bestimmte Distanz in der Woche gelaufen bin, kann ich noch so viele Dinge machen, die mich erfreuen, ohne dass sich bei mir, so sehr ich es auch versuche, ein Gefühl der Vollkommenheit einstellt. Laufen ist also zu meiner objektiven Bedingung geworden.

Wie wir Teil einer Berggeschichte wurden

Am Abend hat der ehemalige Wirt der Oberreintalhütte, ein knapp siebzigjähriger Bergfex aus Garmisch, die Stimmung im Gastraum mit Besenstiel und Kochlöffel als Musikinstrument zum Kochen gebracht. Bier, Wein und Schnaps flossen in Strömen und so wurde der Aufwand, leise das Bett aufzusuchen, für die meisten Gäste zu einem schier unmöglichen Unterfangen, weshalb die Nacht für uns alle etwas kürzer ausfiel. Wir werden wieder mit dem traditionellen Reintalangerwecklied geweckt, dass mich aus meinem unruhigen Schlaf erlöst und dessen wohliger Klang eigentlich zum Weiterschlafen verleitet. Nach einem reichhaltigen Frühstück machen wir uns bei bedecktem Himmel talwärts auf zur Bockhütte. Kurz nach dem Partnachfall wird es sehr ruhig. Das sonst monotone Rauschen der Partnach ist verstummt. Im Bereich des sog. Steingerümpels hat die Partnach einen unterirdischen Verlauf, sodass in dem eigentlichen Flussbett eine Mischung aus Wiese, Wald und Schotterflächen entstehen konnte. Hier weiden einige Schafe, die zunächst nur an ihren Glocken zu erkennen sind, kurze Zeit später aber in unser Blickfeld geraten. Kurz vor der Bockhütte kommt die Partnach wieder an die Oberfläche. Der Wanderweg ist gut einen Meter breit und schlängelt sich nah am Hang und immer leicht auf und ab entlang des Flusses zur Hütte, die nach gut dreißig Minuten in Sicht kommt. Dort wartete bereits Dennis auf uns, der von Augsburg für eine Tagestour angereist ist. Unterhalb der Bockhütte verlassen wir den Wanderweg nach Garmisch-Partenkirchen und laufen - wir haben die Partnach mittlerweile an der Bockhütte (1060m) überquert - rechter Hand in den dichten Wald hinein und folgen den Wegweisern Richtung Oberreintalhütte (1525m), von wo wir weiter zum Schachen und dann zur Meilerhütte laufen wollen. Der Steig gewinnt hier in unzähligen Serpentinen sehr schnell an Höhe und ich spüre die Anstrengungen des gestrigen Tages. Zwischen Dennis, Frank und mir entwickelt sich ein reges Gespräch, dass das hohe Tempo, das Frank anschlägt, etwas überdeckt und ablenkt. Der Wald wird lichter und wir können die Felswände sehen, die hinter der Oberreintalhütte das Tal begrenzen und die Hütte zu einem idealen Ausgangspunkt für Kletterer machen. Aufgrund der ergiebigen Regenfälle der vergangenen Tage ist der Fels jedoch sehr feucht und deshalb nur wenige Kletterer unterwegs, sodass wir hier oben fast alleine sind. Wir rasten kurz, füllen an einer kleinen Quelle unsere Trinkvorräte auf und halten einen kurzen Plausch mit dem Hüttenwirt.
Beeindruckendes Panorama
Der zunächst breitere Steig wird jetzt zu einem schmalen Pfad, denn die meisten Wanderer sparen sich den Umweg über die Oberreintalhütte um von der Bockhütte zum Schachen zu gelangen, sodass der von uns gewählte Weg mehr einer ausgetretenen Tierfährte ähnelt. Zunächst bergab und auf rutschiger Erde kommen wir wieder auf den Hauptweg und gelangen dann in die Teufelsgass', die einige versicherte Stellen aufweist und deren Name durchaus seine Berechtigung hat. Kurz nachdem wir den jungen Reintalbach gekreuzt haben, bietet sich ein wundervoller Ausblick in den Schuss des Reintals und auf das dahinter liegende Zugspitzplatt. Aufgrund einiger Fotostopps habe ich Dennis und Frank verloren und habe Probleme, ein gleichmäßiges Tempo zu finden. Jeder hohe Absatz bedeutet eine Qual, wo ich gestern noch mit starkem Stockeinsatz wie ein junges Reh hochgehüpft bin, muss ich jetzt eher aussehen wie ein Elefant, der ungelenk versucht, ein kleines Podest zu erklimmen. "Wie soll ich das hier nur durchstehen?", kommt mir für einen kurzen Moment in den Sinn, aber es ist als Ausdauersportler ganz wichtig, diesen Gedankt sofort wieder zu verwerfen. Mittlerweile ist die Vegetation links und rechts des Wegs üppiger als noch am gestrigen Tag auf gleicher Höhe. Es wird auch zunehmend flacher, sodass ich aus dem Wandertritt in den Laufschritt wechsle und kurz nach Frank und Dennis am Schachen (1850m) und dem König-Ludwig-Haus eintreffe. Auch Michael kommt kurz nach mir an und klärt uns darüber auf, dass er sich nun von uns trennen wird, um weniger Höhenmeter zu machen und etwas mehr und länger laufen zu können. Er verabschiedet sich nach kurzer Rast gen Partnachklamm und Frank, Dennis und ich setzen unseren Aufstieg zur Meilerhütte (2350m) fort.
Kurz vor der Meilerhütte
Auch hier gewinnen wir wieder über drei, vier Serpentinen schnell an Höhe und haben, noch unterhalb der Meilerhütte, einen wundervollen Blick auf die uns umgebende Bergwelt. Mittlerweile hat die Sonne die Dominanz der Wolken durchbrochen und es herrscht wieder Traumwetter. Auf einem kleinen Plateau können wir wieder laufen, bevor der letzte Anstieg zur Meilerhütte beginnt. An einem der sommerlichen Sonne trotzenden Schneefeld vorbei und durch eine schmale Rinne steigend, erreichen wir die Meilerhütte. Vor uns liegt das Leutascher Platt, das von den Dreitorspitzen umrahmt wird, hinter uns der Schachen und dahinter das Garmischer Skigebiet. Dennis holt für alle Johannisbeersaftschorle und wir können auf der Sonnenterasse die Aussicht genießen. Frank will nun über das Platt laufen und dort einen Blick in die Söllerrinne wagen. Diese bildet Einstieg in die sieben Täler, die am Südhang des Zugspitzmassivs liegen. Vor wenigen Woche war die Rinne noch aufgrund starker Schneefälle unpassierbar, doch jetzt ist die Wahrscheinlichkeit, sie zu durchqueren, ziemlich hoch. Dennis reicht an dieser Stelle die Kraxelei und er will sich auf den Rückweg machen. Eigentlich würde ich ihn gerne begleiten und noch länger mit ihm laufen, da er extra angereist ist, andererseits will ich Frank auch nicht alleine auf die extrem fordernden 7-Täler-Runde lassen. Es ist Dennis, der mir mit den Worten "Die 7-Täler-Runde ist natürlich ein echtes Abenteuer. Vielleicht ärgerst Du Dich später, wenn Du es nicht gemacht hast!", die Entscheidung abnimmt. Frank und ich verabschieden Dennis, der leichten Schritts abwärts läuft und rutschen mehr oder weniger zum Lettischer Platt hinab. Die Wegfindung fällt uns etwas schwer und so steuern wir zunächst einfach auf den Söllerpass zu, der als Scharte zwischen zwei Gipfel gut zu erkennen ist. Frank ist sich nicht ganz sicher, ob die Söllerrinne von dort abfällt, doch am Pass angekommen, wird uns ziemlich schnell klar, dass es hier auf keinen Fall für uns bergab geht. Zwar führt ein schmaler Steig in den Abgrund, dieser verläuft sich aber schon nach wenigen Metern und ist Kennzeichen dafür, dass wir nicht die Ersten sind, die an dieser Stelle die Rinne gesucht haben. Wir laufen hin und her, blicken in andere Abgänge und studieren letztendlich die Karte noch etwas genauer. Dabei sehen wir, dass die Söllerrinne etwas weiter westlich vom Pass liegt und nach kurzer Kletterei finden wir den mit einem Schild markierten Einstieg.
Rechts im Bild: die Söllerrinne
Für die nun folgenden 1,9 Kilometer benötigen wir bergab fast vierzig Minuten. Es ist steil, der teilweise erdige Boden spendet kaum halt und zwischendurch fordern einige große Absätze unser Klettervermögen. Uns kommen einige Wanderer entgegen, die auch schwer zu kämpfen haben. In dieser Situation, in der auch sie an ihre Grenzen stoßen, fällt keine abfällige Bemerkung über unsere leichte Ausrüstung oder die Schuhe, mit denen wir uns durch die Rinne wühlen. Auch weiter unten an einer rutschigen Stelle, an der ich kurz den Halt und mein Gleichgewicht verliere, kommt mir kein Spott, sondern ein "Da hat's uns auch grad gelegt" entgegen. Mit zunehmender eigener Hilflosigkeit steigt also auch der Respekt vor der Leistung der Anderen. Trotzdem bin ich froh als wir nach einer gefühlten Ewigkeit die Rinne verlassen können und über eine grüne Almwiese wieder auf breitere und festere Wege stoßen.
Sodann geht es immer im Wechsel bergauf und bergab und wir durchqueren, immer einige Meter oberhalb des Talbodens, die ersten Täler. Meine Beine haben sich wieder erholt, was, schwer vorstellbar, wirklich während einer solchen Anstrengung funktioniert. Wir zweigen vom Hautpfad ab und folgen einem kleinen Hirtenpfad unterhalb des Südgrats des Zugspitzmassivs. Irgendwann stehen wir auf einer grünen Wiese, haben den Weg verloren und kennen nur die grobe Richtung, um wieder auf den Hauptweg zu gelangen. Wir gelangen in eine kleine Rinne und ich finde mich inmitten eines bröseligen Abhangs wieder. Zentimeter für Zentimeter bewege ich mich vorwärts und mehr als einmal kommt mir hier der Gedanke, gleich abzurutschen und auf feinstem Wettersteinkiesel der Schwerkraft zu folgen. Frank macht mich, nachdem er diese Passage mit der Leichtigkeit eines Steinbocks passiert hat, darauf aufmerksam, dass nur einige Meter über mir der Weg verlaufe. Meine Laune verbessert sich dadurch aber nicht um einen Hauch, denn irgendwie stecke ich hier fest. Ich kralle mich an einzelne Grasbüschel und mit Biegen und Brechen hab ich es dann auch irgendwann irgendwie geschafft und bin froh, wieder mehr oder weniger festen Boden unter meinen Füßen zu haben. Ich sehne mich nach einem Schluck Wasser, muss jedoch feststellen, dass die Trinkblase leer ist. Frank gibt mir einen Schluck aus seiner Flasche und wir beiden freuen uns, dass im nächsten Tal das Steinerne Hütte liegt. Wir meistern die letzten Meter des Anstiegs und können vom Grat die Hütte sehen. Frank stößt mehrere Rufe aus und von der Hütte kommen uns ebensolche entgegen. Wir fliegen förmlich die Kehren hinab, springen über den Quellbach und sprinten fast den letzten Abschnitt zur Hütte. Dort werden wir schon von Josef, seiner Frau und vier befreundeten Wanderern erwartet und freundlich empfangen. Alle sechs sind begeistert von unserer Tour und ich habe das Gefühl, das Josefs Frau heute besonders viel Puderzucker über den Kuchen gestreut hat. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so über ein Stück Marmorkuchen und eine Holundersaftschorle gefreut wie in diesem Augenblick. Obwohl es mir schwer fällt, weiß ich, dass ich diesen Ort heute verlassen muss und morgen nicht mehr wiederkehre. Ich genieße deshalb Kuchen und Panorama ausgiebig und fülle noch schnell, bevor wir uns ausgiebig von Josef und seiner Frau verabschieden, meine Trinkblase. Beide sind fasziniert von der Geschwindigkeit, mit der wir bisher vorangekommen sind und wünschen uns alles Gute für die verbleibenden Kilometer. Auch wenn ich die Beiden nur zweimal gesehen habe, fällt der Abschied so schwer als würde man alten Freunden auf Wiedersehen sagen.
Von nun an fällt mir alles etwas leichter. Mit frischem Diesel im Tank und auf bekannter Strecke hoch zum Gatterl, weiß ich, dass mir jetzt nichts mehr passieren kann. Ich habe noch einen Riegel im Rucksack, der mir noch Kraft für den letzten Downhill von der Knorrhütte liefern muss, auf dem die Konzentration extrem hochgehalten werden muss. Frank läuft einige Meter vor und obwohl es mir gut geht, fühlt sich jetzt jeder Schritt sehr schwer an. Ab jetzt heißt es Geist über Materie. Die Traverse vom Gatterl zur Knorrhütte haben wir fast für uns alleine und so stellt sich ein guter Rhythmus ein. Der Abstieg von der Knorrhütte geht, trotz der harten Runde, heute leichter von der Hand. Es fühlt sich an, als kenne der Kopf jeden Stein und Absatz vom gestrigen Tage und als würde die Beine blind seinem Kommando folgen. Ich bin froh, dass wir gesund und munter das Reintal erreichen. Frank lässt seinen Gefühlen freien Lauf, lässt wieder einige Ausrufe los, die die Schafe verstören und mich erfreuen. Arm in Arm laufen wir die letzten Meter zur Hütte. Auch Simon ist begeistert von unserer Runde und als er sieht, wie ich mich zum Duschen quäle, bekomme ich noch eine Duschmünze von ihm geschenkt.
Michael wartet schon auf uns und gemeinsam verdrücken wir eine große Portion extrem schmackhafter Nudeln mit Sauerkraut. Als ich nach einem kurzen Nickerchen zu unserem Basislager komme, sitzen Michael und Frank mit drei Kletterern aus München dort. Die Drei sind am Morgen über den Kleinwanner auf den Hochwanner gestiegen und von der zum Steinernen Hüttl abgestiegen, um dann unserem Weg über Gatterl und Knorrhütte zurück zur Reintalangerhütte zu folgen. Am Steinernen Hütte hat Josef ihnen gleich, als er erfuhr, dass sie von der Reintalangerhütte kommen, die Geschichte von unserer 7-Täler-Runde erzählt. So sind Frank und ich jetzt also Teil einer Berggeschichte, die Josef immer mal wieder einem Wanderer erzählen wird. Wenn Du also irgendwann einmal auf dem Steinernen Hütte bist....

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Klasse Tour und toll beschrieben... Umso mehr freue ich mich darauf, möglichst bald wieder dort zu sein :-)

Philipp hat gesagt…

Danke, Tom. Im Sommer versuche ich auch wieder ein paar Tage dort zu sein.