Donnerstag, 1. September 2016

Es gilt, eine Schlacht zu schlagen (STUNT 100)

"Bergsteigen ist zweckfreies Tun. Zweckfreies Tun ist nur dann echt, wenn es in einer zweckfreien Landschaft ausgeübt wird. Sonst wird es zu einem kitschigen Spiel."  

Diese Worte Karl Kolars, der Mitte des 20. Jahrhunderts als Funktionär des Wiener Lichtbildner Klubs Bergfotolehrgänge im österreichischen Alpenverein initiierte, lassen sich eins zu eins auf das übertragen, was ich am kommenden Wochenende vorhabe. Ultralaufen, erst recht wenn es um die Königsdistanz von 100 Meilen (160 Kilometer) geht, ist zweckfreies Tun. Wenn sich dazu nur knapp mehr als zwanzig Läufer einfinden, der Veranstalter ohne große Sponsoren und Publicity auskommt und allein um des Laufens Willen gelaufen wird, dann wird in einer zweckfreien Umgebung gelaufen. Eingebettet zwischen den Sieben Bergen und dem Hildesheimer Wald liegen Start und Ziel. Sibbesser Tag und Nacht Trail - oder einfach nur STUNT 100 heißt das Abenteuer, dem ich mich ganz zweckfrei zuwende.

Dachsteinsüdwand im letzten Abendlicht

Die Südwand des Dachsteins ragt 850 m über der Ramsau auf. Sie wirkt von dort uneinnehmbar und monströs; freundlich in der Farbe, doch grimmig im Aufbau. Auf dem Foto scheint sie gerade aus der Hölle hervorgekommen zu sein, denn letzte Feuer züngeln um ihre Spitze. Doch auf den zweiten Blick erkennt man das liebliche Rot des verblassenden Sommertages, der sie wärmer als am Morgen erscheinen lässt. Auch tun sich Bänder und Verschnitte auf, die eine Durchsteigung möglich machen. Und als ich an diesem Abend auf dem Hof des Hotels stand und meinen Blick auf den Dachstein richtete, da waren die 160 Kilometer ganz nah. Und was mir vor Monaten und Wochen  noch wie ein Himmelfahrtskommando vorkam, wurde nun greifbar, realisierbar. 
Ramsau liegt auf einem Hochplateau über dem Ennstal, was der Gemeinde viel Sonne, Touristen und und Geld bringt. Die Zufahrtsstraßen sind steil und die Häuser und Höfe in dem weitläufigen Areal verstreut, sodass überhaupt nicht auffällt, in der größten Tourismusgemeinde der Steiermark zu sein. Unten im Tal der Enns liegt Schladming mit seinem schönen Rathaus, hinter dem sich der Dachstein erhebt. 

Schladminger Rathaus vor dem Dachsteinmassiv

Am Ende der Schladminger Fußgängerzone vom Salzburger Tor kommend, steht ein Denkmal, das an den Schladminger Bauern- und Knappenaufstand im Jahre 1525 erinnert. Der Schladminger Aufstand steht in einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen dem gemeinen Volk und der herrschenden Klasse (geistlich wie weltlich), die auch als Deutsche Bauernkriege bezeichnet werden. Als vom Bergbau geprägte Stadt waren es vor allem die Knappen, die sich vermehrt zum aufkommenden Protestantismus bekannten und damit den Zorn der katholischen Kirche auf sich zogen. Nachdem ein Aufstand im nahen Gasteinertal zur Belagerung der Festung Hohensalzburg , in deren Ausbau ein erheblicher Teil des im Bergbau erwirtschafteten Geldes ging, führte, schlossen sich auch die Schladminger Knappen zusammen. Daraufhin machte sich der Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein ins Ennstal auf, um den Aufstand niederzuschlagen. Die Schladminger Knappen hatten sich zurückgezogen und aus angrenzenden Regionen unter Führung von Michael Gruber Unterstützung erhalten. 3500 Aufständische, die weder Reiter noch Geschütze hatten, standen 3000-4000 Männern unter Dietrichstein gegenüber, der sich in der Stadt, umgeben von reißenden Gebirgsbächen und steilen Bergen, sicher fühlte und auf Verstärkung wartete.

Denkmal in Erinnerung an den Schladminger Bauernaufstand, bei dem das Bauernheer die ständischen Truppen am 3. Juli 1525 besiegt und Schladming erobert haben. Das Denkmal wurde 1925 von den steirischen Bauernbündlern errichtet.

Ein Angriff durch das Tal war also unmöglich und so teilte Gruber sein Heer in Pichl, wo heute die Zufahrtsstraße zu dem wunderbaren Hotel, in dessen Einfahrt das Foto vom Dachstein entstand, von der Schnellstraße im Ennstal abzweigt. Ein Teil stieg in der Nacht und im unwegsamen Gelände Richtung Ramsau empor, der andere Teil querte den gegenüberliegenden Berghang, stieg ins Untertal, das heute mit dem Zusatz "Wilde Wasser" vermarktet wird, ab und auf den Fastenberg hinauf. Beide Teile waren nun oberhalb von Schladming und mit dem überraschenden Angriff in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 1525 konnte Schladming eingenommen werden. Ein auf den ersten Blick unmögliches Unterfangen gelang also Dank guter Planung, einer Portion Mut und etwas Glück.

Ärmlinge mit der Aufschrift: Quäldich.de

Es gilt, am Samstag eine Schlacht zu schlagen. Ich habe nicht ausreichend Trainingskilometer in den Beinen, erfreue mich ansonsten aber bester Gesundheit und bin ausreichend verrückt, um nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Mein Heer zählt eine Frau, zwei Männer und einen Hund - ebenfalls alle ausreichend fit -  und ein Angriffsplan liegt auch schon bereit. Die Geschichte vom Schladminger Aufstand wird mir wahrscheinlich durch den Kopf gehen, wenn ich nach 13 Stunden Laufzeit die Stirnlampe aufsetze und in der Dunkelheit und Stille der Nacht durch das Leinebergland laufe. Letztendlich läuft alles auf Vergils "Der Geist bewegt die Materie" hinaus.

Der Aufstand in Schladming fand im September 1525 sein Ende, als sich die Knappen den anrückenden Truppen von Niklas Graf Salm, der später Wien erfolgreich gegen die Türken verteidigte, ergaben. Ich kann es nicht versprechen, aber ich hoffe, dass der Lauf ein besseres Ende als der Schladminger Bauernaufstand nimmt.

Montag, 11. Juli 2016

Das einfache Leben


Zufälle sind unvorhergesehene Ereignisse, die einen Sinn haben.
Diogenes von Sinope
Eine Woche nach dem Zugspitz Ultratrail ging es meinen Beinen schon wieder sehr gut und so entschieden Mone und ich, am Sonntag eine längere Wanderung zu machen. Ein Ziel war schnell gefunden: Mit der Rotwand sollte ein klassischer Münchner Hausberg bestiegen werden. Die Rotwand liegt im Mangfallgebirge unweit des Spitzingsees und ist von dort leicht und von dort Bergstation der Taubsteinbahn noch leichter zu erreichen. Viel Trubel und ein großer Rummel war also vorprogrammiert. Drei Punkte sorgten jedoch dafür, dass es eine beschauliche Bergwanderung wurde, die mir wieder einmal vor Augen geführt hat, dass es nur wenig braucht, um ein schönes Leben zu haben.

Ein rosa Handtuch liegt auf einer grünen Wiese vor dem nebelverhangenen
Soinsee.

1. Schlechtes Wetter. Mir scheint, als ob der Sommer im Süden ziemlich verregnet sei. Immer, wenn ich die Donau überquere, beginnt es zu regnen und auch an diesem Sonntag tröpfelt es eine Stunde nach dem Aufstehen auf's Dach. (Ja, gestern hat die Sonne geschienen und es hat für eine Radtour entlang der Isar bis zur Grünwald Brücke und zurück gereicht. Aber ist schon eher grau dieser Tage). Nicht, dass es im Norden wärmer ist, aber irgendwie trockener. Da man nie so genau weiß, wann es aufklart, fahren wir trotzdem in die Berge - und weniger los ist dann auch.

Ein Bach bahnt sich seinen Weg durch den dichten
Wald.

2. Ein abgelegner Ausgangsort. Um Trubel und Skistationen zu entgehen, wählen wir Geitau als Ausgangspunkt für die Wanderung. Es gibt hier einen Bahnhof, der von der Bayrischen Überlandbahn angesteuert wird. Da wir gerade ein Auto in München haben, fahren wir ausnahmsweise mit diesem in die Berge - eine Landpartie mit dem Auto führt manchmal durch schöne Gegenden, wie heute das Leitzachtal. Der Weg von hier ist etwas länger auf die Rotwand und zu Beginn etwas fad, aber nach der Heubergalm und dem Eintritt in den Wald äußerst interessant. Der Steinbach ist dabei steter Begleiter, der sehr abwechslungsreich - mal als beschaulicher Bach, dann wieder als brausender Wasserfall - linker Hand gen Geitau fließt.

Der Autor sitzt essend auf einem Stein. Im Hintergrund ein Bachlauf.

3. Nimm das, was Du bekommst, und sei glücklich damit. Gipfelglück konnten wir nicht vermelden, es hat sich aber trotzdem gelohnt. Dicker Nebel hing in den Bergen, der sich auch nicht im Laufe des Vormittags verzog, sodass wir am Soinsee beschlossen, nicht weiterzugehen. Der Weg war zehn Meter zu sehen - das war es dann aber auch schon. So blieb Zeit, um im See zu baden (KALT!!!), sich auf der Schellenberg zusammen mit den Sennerinnen bei einem Kaffee wieder aufzuwärmen und den großen Wasserfall unterhalb des Schellenbergs etwas abseits des Weges zu bestaunen. Auf dem Rückweg gab es dann sogar noch Lammsbräu Helles alkoholfrei für den Fahrer im Café GlückSeeligkeit am Schliersee.